Tagebuch eines Spielsüchtigen
Angefangen hat bei mir alles im Jahr 2007 und damit, dass ich mich mit Freunden in einer Spielothek im Ort getroffen habe, um Kicker und Billard zu spielen und einfach so abzuhängen. Ein paar meiner Freunde haben ab und zu was reingeworfen und ich habe interessiert zugeschaut. Meine Eltern haben mich früher schon vor Glückspiel gewarnt, so bin ich erzogen worden. Glücksspielautomaten haben mich immer schon interessiert, aber es war keine magische Anziehungskraft oder ähnliches. Eher aus Langeweile habe ich es selbst mal probiert und mit Freunden sogenannte Spielgemeinschaften gebildet. Jeder hat zwei Euro investiert und dann ging es zusammen los. Ich habe mir damals immer gedacht, wie kaputt man sein muss, diese Automaten wirklich mit Geldscheinen zu füttern. Das schien mir absolut ausgeschlossen und unterbewusst bin ich mir den Spielern gegenüber sehr überlegen vorgekommen. Bei mir gabs zu dieser Zeit immer nur Kleingeld für die Automaten. Wenn ich damals gewusst hätte, wie viele Scheine ich noch in den Rachen der blinkenden Monster schmeißen würde….
Zocken tut man nicht um zu gewinnen, sondern um seiner Welt zu entfliehen. Der Druck und die Probleme aus dem Alltag, von Schule, Studium, Arbeit, privatem Umfeld sind für eine gewisse Zeit nicht spürbar. Es ist ein Ventil. Man taucht in eine andere Welt ein und kann abschalten. Böses Erwachen inklusive.
Es ist eine andere Art von Betäubung, wie wir sie auch vom Alkoholkonsum kennen. Ich hatte anscheinend viel Schmerz zu betäuben, denn dem Alkohol war ich auch recht zugetan.
Mein größter Schritt in die Sucht war, dass ich eines Tages allein Zocken gegangen bin. Auslöser hierfür war ein negatives Erlebnis in der Arbeit. Damals war ich dualer Student im zweiten Lehrjahr in der Versicherung, der ich nach dem Studium/Ausbildung für weitere 10 Jahre treu bleiben sollte. Für die Uni musste ich eine Projektarbeit über einen spezifischen versicherungstechnischen Vorgang (*gäääähhhn*) in meiner derzeitigen Abteilung schreiben. Mein damaliger Ausbildungsbeauftragter sollte die Arbeit korrigieren, bevor ich sie abgebe. Ich war recht stolz auf meine Ausführungen und hab ihm die Word-Datei eines Donnerstag Nachmittages mit dem Beisatz „da ist das Meisterwerk“ zukommen lassen. Vielleicht auch durch meine spaßig gemeinte Überheblichkeit angespornt, hat er kein gutes Haar an meiner Projektarbeit gelassen. „Was ich mir dabei gedacht hätte…“, „das sei von vorne bis hinten falsch…“, bla bla etc. Man muss dazu sagen, dass mein Ausbilder ein eher forscher Zeitgenosse war, der allgemein nur selten lobende Worte gefunden hat oder gute Laune versprühte.
Ich war am Boden zerstört. Am kommenden Montag, also in drei Tagen, sollte ich die Arbeit in meiner UNI in Mannheim abgeben. Alles neu zu schreiben, würde sicherlich mehr als eine Woche in Anspruch nehmen.
Mein Ausbilder ist dann erstmal wütend nach Hause gegangen und hat mich allein in der Arbeit sitzen lassen.
Als ich dann verzweifelt aus dem Bürofenster auf die belebte Ganghoferstrasse in München gestarrt habe, ist mir der Abschluss des Studiums unmöglich erschienen. Das wurde mir alles zu viel. Das war mir alles zu schwer und Hilfe bekam ich auch nur sehr spärlich. Wegen mir und meiner Zukunft war es mir egal, dann würde ich halt etwas anderes machen, aber was würden nur meine Eltern sagen, davor hatte ich wirklich Bammel.
Auf einmal kam mir das Automatenspielen in den Sinn. Wie gut würde es mir nun tun, mich kurz vor den Automaten zu setzen und abzuschalten. Und vielleicht würde ich sogar etwas gewinnen. Kopf leeren. Außerdem habe ich Lust zu zocken. Dummerweise hatte keiner meiner Freunde Zeit. Da ich in unserer Stammlokalität nicht vom Personal gesehen werden wollte, wie ich allein in die Spielothek kam, also wie ein völlig normaler Spieler, bin ich in eine andere Spielothek im Nachbarort gefahren.
Das hatte den Vorteil, dass ich mal ungehemmt so viel Zocken konnte, wie ich wollte, ohne dass ich darauf achten musste, dass die anderen mich eventuell schon für süchtig hielten. Und ich musste mich mit niemandem unterhalten. Zocken pur! Wie geil! Das war echt eine neue Erfahrung und nach dem sehr deprimierenden Erlebnis am Nachmittag, eine sehr spannende und gleichzeitig entspannende Erfahrung.
Auf dem Nachhauseweg nach dem Spielerlebnis in meinem Seat, hat mich dann aber natürlich die Realität blitzschnell wieder eingeholt.
Ich hatte immer noch keine Lösung für meine Projektarbeit und war 200 EUR ärmer.
Eine schwerwiegende Änderung hatte sich dennoch aus diesem Abend für mein Leben abgeleitet. Von diesem Moment an bin ich fast ausschließlich allein zum Zocken gegangen. Das Zocken wurde somit auf eine noch hemmungslosere Ebene gehoben. Zügellos haben sich meine Verluste in höchste Höhen geschraubt. Wer glaubt, dass Langzeitzocker nicht allesamt extreme Verluste einfahren, dem kann ich nicht weiterhelfen. Automatenspielen kann hochgradig süchtig machen und man wird mittel und langfristig verlieren, verlieren, verlieren. Es gibt keine Taktik oder Tricks, um zu gewinnen. Die einzige Chance an diesen Höllenmaschinen ohne Verlust zu bleiben, ist nie einen Cent einzuwerfen. Anfangs des Monats herrschte immer Hochstimmung, Gelächter und Feierlaune in den Spielotheken, da waren die Taschen prall mit dem Monatsgehalt gefüllt. Drei Tage später niedergeschlagene Menschen, angespannte Stimmung, leere Gesichter. Die Mehrheit war schon zu diesem Zeitpunkt in einer sehr prekären Situation, musste von irgendwoher Geld auftreiben, um weiterspielen, um weiterleben zu können. An den Automaten neben mir in der Spielothek sind ganze Familien kaputt gegangen, weil der Mann (manchmal auch die Frau) Haus und Hof verzockt hat. Wenn du so jemandem ins Gesicht schaust, nachdem er am zweiten Tag des Monats sein ganzes Gehalt verzockt hat, dann weißt du, was Elend ist, was Verzweiflung und Niedergeschlagenheit bedeutet.
Zocken mit den Freunden war nun eher ein notwendiges Übel, da ich diese Termine wahrnehmen musste, ich wollte mich aus der Clique nicht ganz zurückziehen, bzw. die Leute nicht verlieren, aber ich konnte nicht so zocken wie ich wollte. Ja zum Teil haben wir uns getroffen und keiner hat gespielt. Ein Spießrutenlauf für mich. Zwei Stunden lang dasitzen, unterhalten und um uns rum 30 Automaten, das absolute Zockerparadies und ich zur Untätigkeit verdammt.
Weil mir das Zocken peinlich war, habe ich mich immer mehr vor anderen Menschen zurückgezogen. Ich bin den Leuten in der Spielothek aus dem Weg gegangen und habe stets gebetet, dass mich keiner kennt. Einmal hat mich eine alte Schulfreundin auf dem Weg nach draußen angesprochen. Ich wollte eigentlich nur eine rauchen, aber mir war es so peinlich, dass ich sofort nach Hause gefahren bin. Ich hätte ihr eine simple Erklärung bringen können, aber ich war viel zu geschockt, dass mich jemand entdeckt hatte, um klar zu denken.
Die Zeit war auf jeden Fall prägend für mich. Früh aufzustehen, nur um der erste in der Spielothek zu sein, dass möglichst wenig Leute da sind. Es war das Größte für mich in einen menschenleeren Raum voller Automaten zu kommen. Alle für mich. Diese Vorfreude kann ich heute noch spüren. Man durchlebt während dem Zocken diverse Gefühlswelten, voller Gipfel und Täler.
Es ist insgesamt eine Berg- und Talfahrt. Anfangs ist man noch äußerst motiviert und freut sich auf das Zocken. Wenn es gut läuft, trägt sich diese gute Laune weiter, aber läuft es schlecht, können sehr schnell pechschwarze Wolken aufziehen. Vor allem wenn man merkt, dass das Geld zur Neige geht und man an einem Vormittag 300 EUR verspielt hat. Hört sich vielleicht nicht viel an, aber das war für mich als Auszubildenden damals eine enorme Summe.
Einmal bin ich von meiner damaligen Freundin, unter dem Vorwand etwas vergessen zu haben, in die Spielothek in einen 30 km entfernten Ort gefahren, nur um eine halbe Stunde zocken zu können. Anstatt die Zeit mit meiner Freundin zu genießen, saß ich im Auto und wollte wieder Geld am Automaten verdaddeln und auf bunte Symbole starren. Die Sucht war so groß, ich konnte sie einfach nicht abschütteln. Eine halbe Stunde vor den blinkenden Maschinen half mir wieder einigermaßen normal denken zu können.
Es war immer wie ein Abenteuer. Keiner durfte mich sehen. Ich setzte viel aufs Spiel. Immer mit der großen Hoffnung richtig fett abzusahnen. Das gelang mir auch einige Male. Aber man verliert so viel häufiger, das Geld ist so schnell weg, so schnell kann man gar nicht „zocken“ sagen. Wir Spieler sind nicht völlig verblödet. Man spielt nicht, weil man gewinnen will (es fühlt sich natürlich besser an, wenn man gewinnt), man spielt, um zu spielen. Einerseits wegen dem Adrenalin und der Aufregung, andererseits wegen dem beruhigenden Gefühl, das man verspürt, wenn man vor dem Automaten sitzt und die rotierenden Walzen beobachtet. Für diesen Moment ist alles in Ordnung. Dein Leben mag scheiße sein, aber in dem Moment, in dem sich die Walzen noch drehen ist alles gut. Auch wenn das Geld langsam weniger wird. Dann macht es für den Moment sogar noch etwas mehr Spaß, weil der Adrenalinspiegel im Blut ansteigt und man insgeheim weiß, dass es richtig richtig blöd wäre, jetzt alles zu verzocken und mit leeren Händen nach Hause zu gehen. Umso größer ist die Freude über einen Gewinn. Und umso niederschmetternder ist die Sekunde, in der der Automat, mit der letzten Umdrehung der Walzen, deinen letzten Euro verschluckt.
Schlagartig landest du auf dem Knallharten Boden der Realität. Fuck, wieder 300 Euro verspielt. Das kann doch gar nicht sein. Wieso habe genau ich so ein Pech. Alle anderen haben doch gewonnen. Stimmt natürlich nicht. Man bekommt halt immer nur die Gewinne der anderen mit, was sie über Stunden davor reingeschmissen haben, davon hat man keinen blassen Schimmer und sie erzählen es einem auch nicht.
Der nächste Gedanke, ist stets, „wie bekomme ich mein Geld zurück?“ „Ich hatte wirklich Pech, wenn ich nur weiterspielen könnte, würde ich bestimmt auch mal was gewinnen.“ „Auf der Bank habe ich noch etwas Geld. Ich kann das jetzt kurz abheben und später wieder einzahlen.“ „Ich gewinne höchstwahrscheinlich sowieso. Jetzt muss es ja so weit sein!“ Also ab zur Bank und Nachschub holen. Beim Abheben fühle ich mich sehr beobachtet. Mir kommt es so vor, als wüssten die Schalterbeamten, die ältere Dame am Serviceautomaten neben mir und jeder Mensch auf der ganzen Welt Bescheid, wie verkommen und süchtig ich bin. Schnell raus hier. Ich habe 200 Euro abgehoben das müsste reichen. Für einen Azubi mit einem monatlichen Gehalt von circa 800 Euro, eine gehörige Stange Geld.
Wieder ab in die Spielothek und für ein, zwei Stunden ist alles ok. Solange die theoretische Möglichkeit besteht zu gewinnen, kann ich mein sagenhaftes Lügenmärchenschloss, welches ich in sehr aufwendiger und selbstzerstörerischer Kleinstarbeit erbaut habe, noch aufrecht halten.
Dann aber nähern sich die Planierraupen und Abrissbirnen. Wieder wird der letzte Euro aufgefressen. Der Automat stoppt. Und das Lügenmärchenschloss bricht in sich zusammen.
In diesem Moment fühlt man eine große Leere. Man hat meistens schon gezahlt, denn die Blöße seine Getränkerechnung nicht zahlen zu können, geben sich nur wenige Zocker. Im Gegenteil, ich war immer recht spendabel, zum Beispiel mit Trinkgeld. Wahrscheinlich um zu suggerieren, dass ich keine Geldnöte hätte und nur zum Spaß spielen würde.
Also steht man auf und geht, ohne sich von irgendjemandem zu verabschieden. Ich sitze in meinem Auto und starre aus dem Fenster auf die vom Herbstwind tänzelnden Blätter. Was habe ich mir dabei nur gedacht? Ich hatte mir doch ein Limit von 300 Euro gesetzt. Wieso bin ich nochmal zur Bank gefahren und habe Geld abgehoben? Verdammt was mache ich jetzt?
Überraschenderweise ist der nächste Gemütszustand, der sich einstellt, pure Erleichterung. Federleicht. Ich muss nicht mehr zocken. Ich habe kein Geld mehr. Ich bin nicht mehr gefesselt an die Automaten. Solange ich Geld hatte, war ich Sklave der Automaten und meiner eigenen Sucht. Jetzt bin ich wieder frei. Es ist ein bisschen wie nach einer Prüfung, die man total in den Sand gesetzt hat. Man kann definitiv nicht stolz auf sich sein, aber es ist endlich vorbei, der Druck fällt ab.
Man merkt auf einmal sehr deutlich, dass die Stunden zuvor wie in Trance abgelaufen sind. Und wie anstrengend das Leben mit der Sucht ist. Dieser ständige selbst verursachte Druck, gewinnen zu müssen und immer wieder geplagt und gepeinigt zu werden vom schlechten Gewissen, das raubt einem mental extrem viel Energie.
Aber man ist nicht wirklich frei, die vermeintlich gelockerten Fesseln werden schnell wieder angezogen. Ein paar Stunden später oder am nächsten Morgen meldet sich die Sucht erneut und man sucht verzweifelt nach Möglichkeiten Geld aufzutreiben. Ich bin so weit gegangen mir von vielen Menschen Geld zu leihen und meine Schwester zu beklauen. Ich hatte dabei nicht wirklich ein schlechtes Gewissen, denn in meinen verqueren Gedankenspiel, war ich davon überzeugt, dass ich das Geld sowieso gleich an Ort und Stelle zurückbringen könnte und niemand hätte etwas bemerkt. Wenn der Zockerrausch vorbei ist und man langsam wieder normal wird, schlägt die Keule in Form des schlechten Gewissen dafür allerdings umso heftiger zu. Und das ist auch gut so. Schlecht dabei ist, dass man ziemlich viel Selbstachtung verliert.
Ich bin sowieso ein Mensch mit eher wenig Selbstvertrauen und zocken fördert das keineswegs. Das ist bestimmt kein Hobby, auf das man stolz ist. Man will sich verstecken. Keiner soll es jemals herausfinden. Ständig plagt einen das schlechte Gewissen. Man hat Angst von Freunden, Familie, Arbeitskollegen dabei erwischt zu werden. Ständig nagen selbstzerstörerische Gedanken an einem. Außer wenn man zockt, dann ist erstmal alles gut. Wenn man nicht zockt, geht es weiter mit der Spirale aus schlechtem Gewissen, Beschönigung, Möglichkeiten und Wege an Geld zu kommen und Selbstmitleid.
Das Zockerleben ist anstrengend. Das merkt man genau in diesen Phasen, wenn man wieder mal alles verloren hat und nicht zocken kann. Wenn man diese unbändige Erleichterung verspürt, dass man erstmal nicht mehr zocken muss. Keine unendliche Angst mehr von jemanden gesehen zu werden der einen kennt. Keine Ausreden mehr erfinden und denjenigen ins Gesicht lügen die man liebt. Dann scheint sich eine leichte sehr vage Hoffnung am Horizont zu zeigen, ein zartes Pflänzchen. Und man hofft so sehr, man betet, dass es nicht am nächsten Tag gleich wieder niedergetrampelt wird. Von der Elefantenherde namens Sucht. „Vielleicht schaffe ich es ja dieses Mal mit dem Spielen aufzuhören.“
Und gleichzeitig weiß man doch wie unrealistisch dieser Wunsch ist.
Dennoch habe ich es irgendwann geschafft und kann heute ein normales Leben führen. Als ich am Tiefpunkt war, habe ich mich meinen Eltern anvertraut. Da hatte ich meinen allerletzten Cent verspielt und wusste nicht mehr wen ich anpumpen, bzw. beklauen sollte. Meine Sucht war glücklicherweise nicht stark genug, dass ich jemals außerhalb meiner Familie jemandem Geld entwendet habe. Nicht dass ich niemals mit dem Gedanken gespielt hätte, das wäre eine Illusion. Aber das war die letzte Hürde und die war glücklicherweise zu groß.
Ich habe mich unter Tränen meinen Eltern anvertraut.
Glücklicherweise würden die mir immer helfen. Und das haben sie auch in diesem Fall getan. Ohne sie wüsste ich nicht, wo oder was ich jetzt wäre. Ich habe mich sterbenselend gefühlt. Mein Papa, der sowieso schon so viel mit der Erkrankung meiner Mutter mitgemacht hatte und von meiner Mutter und ihrem Schicksal ganz zu schweigen. Als ob das Leben nicht schon Herausforderung genug wäre, kam jetzt ihr Sohn mit der nächsten mittelgroßen Katastrophe um die Ecke. Anstatt ihnen zu helfen und sie zu unterstützen, habe ich ihnen das Leben noch schwerer gemacht. Das war auch der Grund, weshalb ich mich ihnen so lange nicht anvertraut habe, obwohl ich wusste, dass sie mir sofort und bedingungslos helfen würden. So war es dann auch.
Sie haben mir keine Vorwürfe gemacht, sondern nach einer Lösung gesucht.
Wir haben als ersten Schritt versucht, dass mein Vater meine EC-Karten an sich nahm, so dass ich keinen Zugriff auf mein Gehalt hatte.
Wenn ich Geld gebraucht habe, musste ich zu ihm kommen und ihm begründen, weshalb ich wieviel benötige. Das lief irgendwann darauf raus, dass ich sehr sparsam lebte und mir das Geld, dass mir mein Vater gegeben hatte, zurücklegte, um wieder zocken zu gehen.
Der Teufel auf meiner Schulter war wieder zurück. Und ich redetet mir alles wieder schön. Das war jetzt betreutes Zocken. Ich konnte nur so viel verspielen, wie ich dabeihatte.
Ich bin dann noch zwei, dreimal spielen gegangen, aber irgendetwas hatte sich von einen auf den anderen Tag verändert. Es machte keinen Spaß mehr. Absolut nicht. Ich verstand den Sinn nicht mehr. Mir war auf einmal sonnenklar, was jedem Nicht-Spieler sowieso klar ist: ich kann nichts gewinnen.
Ich weiß nicht woher diese Erkenntnis kam oder wieso ich es auf einmal so deutlich gespürt habe. Der Suchtmensch in mir war traurig, dass nun kein Adrenalin mehr durch meinen Körper gepumpt wurde, wenn ich spielte oder daran dachte. Da war nur noch Leere. Eines Abends habe ich die Spielothek im Nachbarort verlassen und wusste: „Das war es. Nie wieder.“ Das hatte ich schon oft gedacht, wenn ich kein Geld mehr hatte, aber dieses Mal habe ich es auch gespürt. Den Grund kann ich nicht nennen, aber ich wusste, dass es vorbei war.
Das war eines der größten Geschenke, die ich jemals in meinem Leben erhalten habe. Viellicht sogar das größte.
Heute weiß ich, dass ich den großen psychischen Druck, der auf mir lastete, in den Gesprächen mit meinen Eltern langsam abbauen konnte. Ihre bedingungslose Liebe und Wertschätzung haben das Loch in meinem Herzen wieder gefüllt, das ich lange Zeit versucht habe durch das Zocken zu stopfen. In einer späteren Therapie habe ich gelernt, weshalb dieses Loch in meinem Herzen und eine tiefe Traurigkeit entstanden ist und wie ich diese Traurigkeit annehmen und verarbeiten kann. Mit einer Sucht (ob Substanzgebunden oder nicht) versuchen wir häufig unangenehme Gefühle zu betäuben. Früher oder später arbeiten sich verdrängte Gefühle aber ihren Weg zurück in unser Leben. Wenn wir versuchen die Gefühle durch das Zocken wegzudrängen und wegzuschieben, dann explodieren sie irgendwann und kommen sehr destruktiv wieder in unser Bewusstsein. Wenn der Prozess schon sehr lange andauert, dann sogar in Form von psychischen und körperlichen Krankheiten.
Es ist wie mit einem Gummiball, den man versucht unter Wasser zu drücken. Das kostet Kraft, vor allem wenn man es sein ganzes Leben macht. Und wenn man den Gummiball loslässt, weil man keine Kraft mehr hat, schießt er mit voller Wucht aus dem Wasser in die Höhe.
Über Gefühle zu sprechen, sie wahrzunehmen und anzunehmen, hat mich von der Spielsucht geheilt. Das hieß aber anfangs auch meine Scham zu überwinden und mir Hilfe zu holen. Im Endeffekt ist das der schwerste, aber auch der wichtigste Schritt. Denn wenn Du mit dem Problem allein bist, du alles in Dich hineinfrisst, wird alles immer nur schlimmer. Im Endeffekt ist alles, wirklich alles besser, als mit dem Problem ganz allein zu sein. Die Spirale aus Selbsthass, schlechtem Gewissen, Schuld und Scham führt immer weiter nach unten in die Dunkelheit.
Es gibt ganz sicher weitaus schlimmere Spieler-Schicksale als das meine. Ich hatte Glück, dass es mich in einer Zeit in meinem Leben getroffen hat, als ich noch nicht viel zu verspielen und noch keine Verantwortung für andere Menschen hatte. Außerdem konnte ich mich glücklich schätzen ein familiäres Umfeld zu haben, das mir sehr geholfen und mich aufgefangen hat. Ich will mich hier mit niemandem vergleichen, denn jeder hat sein eigenes Schicksal und erlebt seine Sucht ganz individuell. Das Einzige, was ich will, ist den Menschen Impulse zu geben, die sich in einer Spielsucht befinden oder auf dem besten Weg dorthin sind.
Wenn ich heute nur einen Menschen dazu motiviere über seinen Schatten zu springen und sich Hilfe zu holen, dann hat sich das Teilen meiner Gefühle und das Erzählen meiner Geschichte absolut gelohnt.